Stephan Berg, “Die Schönheit des Geheimnisses”

Die Schön­heit des Geheimnisses.

Eine Affinität zur skulp­turalen Arbeit hat Gün­ter Reichen­bach schon in der Zeit entwick­elt, als er noch auss­chließlich malte. Bere­its in den späten 70er Jahren, noch während seines Studi­ums an der Karl­sruher Kun­stakademie bei Markus Lüpertz, entste­ht ein Bild, das schon vieles von dem enthält, was sein späteres Schaf­fen kennze­ich­net: Ein groß­for­matiges, kraftvolles Gemälde, das eine Unzahl bunter, run­der Steine vor einem neu­tralen Hin­ter­grund zeigt. Das hätte eine schw­er­fäl­lig- banale Angele­gen­heit wer­den kön­nen. Nicht so bei Gün­ter Reichen­bach. Der malt seine Steine so ener­gisch plas­tisch, dass sie ganz so ausse­hen, als wür­den sie im näch­sten Moment in den Raum hine­in­fliegen und gle­ichzeit­ig so far­big, fröh­lich und entspan­nt, dass sie ihre realen, erd­schw­eren Eigen­schaften völ­lig ver­lieren und zu schweben begin­nen, obwohl sie doch eigentlich fall­en müssten.
Es dauert aber noch eine ganze Weile, bis diese Bild­for­men zu Objek­ten wer­den dür­fen. In der Zwis­chen­zeit erschafft er sich mit dem Pin­sel weit­er seine 3‑D-Wel­ten, lässt in ein­er Bild­seie einen” kleinen Chemik­er” durch die Welt “reisen“und dabei Dinge ent­deck­en, die an alles und nichts erin­nern (kön­nen): Mol­lusken­teile und kuge­lar­tige Gebilde tauchen auf dieser Bilder-Wel­treise auf. 1987 malt er dann ein Füll­horn und schüt­tet alles aus, was er bish­er gesam­melt hat: “Beliebte For­men, beleibte For­men, beliebige For­men, belei­digte Formen”.
Und dann geht es los: Die Bilder wer­den zu Objek­ten aus Hartschaum, Holz und Draht. Aber sie erstar­ren dabei nicht, sie bleiben leicht und lock­er: Abge­sandte aus dem poet­is­chen Reich der “reinen Vorstel­lung”, in dem die Geset­ze unser­er Real­ität nicht gel­ten und deshalb alles möglich ist. Da türmt sich dann zum Beispiel ein dunkel­grünes Oval, eine knall­rote Amöben­form, ein blauer rund-spitzer Faustkeil und eine gelbe Sichel, auf der eine kleine schwar­zlächel­nde Kugel sitzt, zu ein­er heit­eren, kippli­gen Säule aufeinan­der. “Der König spielt” heißt diese Imag­i­na­tions-Ver­tikale. Wer das wörtlich nimmt, ist dem 35jährigen aus Norsin­gen bei Freiburg stam­menden Kün­stler schon in die Falle gegangen.Denn natür­lich ist Reichen­bachs Ge-bilde kein spie­len­der König, genau­sowenig übri­gens wie irgen­det­was anderes, das sich konkret und real beschreiben ließe. Die Titel, die Gün­ter Reichen­bach seinen Arbeit­en gibt, funk­tion­ieren nie als Festschrei­bun­gen, an die die Objek­te gebun­den sind, son­dern mehr als atmoshärische Mark­er, deren spielerische, oft fast märchen­hafte Dimen­sion auf das poet­isch-imag­i­na­tive Kli­ma ver­weist, in und aus dem seine Form-Fig­uren am besten gedeihen.
Bei Gün­ter Reichen­bach wird das “Ate­lier zum Treib­haus”, in dem die For­men anfan­gen zu wuch­ern. Sie wach­sen übere­inan­der, hän­gen gelb und frech an Kan­ten, von denen sie eigentlich abstürzen müssten, tum­meln sich in frag­ilen, wiegen­den türk­is­far­be­nen und wein­roten Bal­an­cen mit ein­er traumwan­d­lerischen Sicher­heit, als kön­nte ihnen nie etwas passieren. Aus glat­ten, soli­den Sock­eln, denen man die ursprünglichen Fund­stücke nicht mehr ansieht, wach­sen bunte skulp­turale Träume, in denen ein sta­tisch schwindel­er­re­gen­des Turm-Gebilde und eine auf zit­tern­den Draht gesteck­te spitzige Blat­tform ein “merk­würdi­ges Zusam­men­tr­e­f­fen feiern, oder, wie in der zweit­eili­gen Arbeit “Maler und Mod­ell” eine immer­währende fröh­liche Unein­deutigkeit darüber herrscht, wer denn nun Maler und wer das Mod­ell ist.
Mit sochen Fra­gen kommt man bei Gün­ter Reichen­bach nicht weit. Seine aus sur­realen und dadais­tis­chen Tra­di­tio­nen gespeiste Arbeit­en erzählen nichts über die Welt wie sie ist und schon gar nicht darüber, was sie sind und was sie bedeuten. Über solche Zumu­tun­gen tänzeln sie lock­er hin­weg. Nicht das, was ist, inter­essiert sie, son­dern das, was sein kön­nte. Sie ken­nen keine Lösung, son­dern nur das Rät­sel, das sie sich selb­st sind. Ger­ade das macht ihre Bedeu­tung aus. Diese Objek­te zeigen etwas, das wir in unser­er immer rät­sel­loseren Welt schon fast vergessen haben: Die Schön­heit des Geheimnisses.
Freiburg im Feb­ru­ar 1990
Stephan Berg